Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022
Deana Lawson mit dem Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022 ausgezeichnet
Am Donnerstag, 12. Mai 2022 wurde im Rahmen einer Preisverleihung in der Photographers’ Gallery in London Deana Lawson als diesjährige Gewinnerin des renommierten, mit 30.000 britischen Pfund dotierten Preises bekanntgegeben. Die anderen drei Finalist*innen erhalten jeweils ein Preisgeld von 5.000 £ – eine Erhöhung gegenüber den Vorjahren, als das Preisgeld bei 3.000 £ lag.
Die Finalist*innen des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022
Die vier Finalist*innen des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022 sind Deana Lawson, Gilles Peress, Jo Ractliffe und Anastasia Samoylova. Die ausgewählten Künstler*innen verfolgen unterschiedlichste Ansätze des visuellen Geschichtenerzählens. Sie beschäftigen sich allesamt mit einigen der dringlichsten Fragen unserer Zeit. Trotz der vielfältigen Perspektiven (generationenbezogen, geografisch, ethnisch und kulturell) und künstlerischen Strategien gibt es elementare Gemeinsamkeiten. Sie zeigen alle ein ausgeprägtes Bewusstsein für den gegenwärtigen Kontext, historische Lasten, die Problematik des Vermächtnisses und der Sprache sowie für die Verantwortung, sich in Bezug zu ihrem Thema mit dem eigenen Standpunkt auseinanderzusetzen.
Die Ausstellung der Finalist*innen wurde in der Photographers’ Gallery, London, gezeigt. Im Anschluss daran tourte die Ausstellung zur Deutsche Börse Photography Foundation nach Frankfurt/Eschborn.
Jury
Die diesjährige Jury setzt sich zusammen aus: Yto Barrada, Künstlerin, Jessica Dimson, Stellvertretende Direktorin für Fotografie des New York Times Magazine, Yasufumi Nakamori, Leitender Kurator für Internationale Kunst (Fotografie) an der Tate Modern, Anne-Marie Beckmann, Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation, sowie Brett Rogers, OBE, Direktorin der Photographers’ Gallery, als stimmberechtigte Vorsitzende.
Deana Lawson
Deana Lawson wurde für ihre Ausstellung „Centropy“ in der Kunsthalle Basel (9. Juni bis 11. Oktober 2020) ausgewählt.
„Centropy“ zeigt großformatige Fotografien aus den Jahren 2013 bis 2020, 16mm-Filme, Hologramme und Bergkristalle, die als dichtes Ensemble Direktheit und Immanenz vermitteln. Deana Lawson (*1979, Rochester, New York) beschwört die Sprache des typischen Fotoalbums und des kunsthistorischen Meisterwerks in sorgfältig choreografierten Porträts herauf, die zugleich intim wie malerisch anmuten. Ihre üppig ausgestatteten Privaträume sind mit Details ausgestattet, die unheimlich anmuten. Dazu gehören sich lösende Tapeten und abgenutzte Schlafcouches, aber auch die beunruhigende Anwesenheit von Devotionalien und dem, was die Künstlerin als „Portale“ bezeichnet. „Ich versuche eigentlich, das Reich des Mythischen abzubilden“, erklärt Lawson, „eine Person als Vehikel zu benutzen, um ein Wesen jenseits dessen darzustellen, was tatsächlich vorhanden ist.“
Gilles Peress
Gilles Peress wurde für seine 2021 im Steidl Verlag erschienene Publikation „Whatever You Say, Say Nothing“ ausgewählt.
Gilles Peress (*1946, Neuilly-sur-Seine, Frankreich) ist erstmals in den 1970er Jahren nach Nordirland gereist: 1971 nach der Wiedereinführung von Internierungen durch die Regierung und 1972 vor und während des Massakers am „Bloody Sunday“. In den 1980er Jahren kehrte er mit der Absicht zurück, durch das Ausloten der Grenzen von visueller Sprache den scheinbar unlösbaren Konflikt zu erfassen und zu verstehen. Die daraus resultierende Publikation „Whatever You Say, Say Nothing“ ist in ihrer Komplexität ein herausragendes Werk. Auf 2.000 Seiten – zwei Bildbänden und einem begleitenden Almanach mit Kontextmaterial – legt Peress eine „dokumentarische Fiktion“ vor. Ein fotografiertes Jahrzehnt wird in 22 „halb-fiktive Tage“ gegliedert: Tage des Kampfes, Tage der Internierung, Tage des Doppelkreuzes, aber auch Tage, an denen gar nichts passiert … langweilige Tage, Tage, die nie aufhören. „Whatever You Say, Say Nothing“ umreißt präzise die spiralförmige Struktur der Geschichte, „wo heute nicht nur heute ist, sondern alle Tage wie heute“. Es beschreibt Existenz und Erfahrung in einem Raum, der durch wiederkehrende Gewalt ritualisiert wird, und strebt gleichzeitig nach der grausamen Natur der Fotografie im Niemandsland, jenseits der anerkannten Formen.
Jo Ractliffe
Jo Ractliffe wurde für ihre 2021 bei Steidl/The Walther Collection erschienene Publikation „Photographs 1980s – now“ ausgewählt.
Über mehr als drei Jahrzehnte hat die südafrikanische Fotografin Jo Ractliffe (*1961, Kapstadt, Südafrika) ihr Objektiv auf die Landschaft ihrer Heimat gerichtet. Ihr nominiertes Projekt, die umfassende Monografie „Photographs 1980s – now“ umfasst wichtige Fotoreportagen, frühe Arbeiten und erst jüngst veröffentlichte Bilder, die voller literarischer Bezüge stecken. Chronologisch präsentiert und eingeleitet durch persönliche, fast an Tagebucheinträge erinnernde Texte der Künstlerin, zeugen Ractliffes Bilder von den Verwicklungen eines Landes, das ebenso von der Gewalt der Apartheid gezeichnet ist wie von den Folgen des Bürgerkriegs im benachbarten Angola. Diese rauen, schonungslosen Bilder unterscheiden sich von sozialdokumentarischer Fotografie: Ractliffe zieht es eher zu einer leisen Poetik als zur unmittelbar politischen Adressierung. Ausgemusterte Militärvorposten, provisorische Behausungen, die von streunenden Hunden heimgesucht werden – ihre unverwechselbare Bildsprache ist von Trostlosigkeit und Abwesenheit gekennzeichnet. Als Schauplätze von Massakern, Zwangsabschiebungen und Gewalt sind diese Bilder jedoch weder still noch leer. Man findet in „Photographs 1980s – now“ wiederkehrende charakteristische Stilmittel: filmstreifenartige Sequenzen etwa, die Beobachtung des Lebens – oder seines Fehlens – von der offenen Straße aus sowie das wiederholte Verwenden von Plastik- und Spielzeugkameras. Obwohl Schwarz-Weiß-Bilder überwiegen, existieren auch bedeutsame Streifzüge in die Farbfotografie und Experimente mit Fotomontage und Video.
Anastasia Samoylova
Anastasia Samoylova wurde für ihre Ausstellung „FloodZone“ am Multimedia Art Museum, Moskau (8. Juni bis 28. Juli 2021) ausgewählt.
„FloodZone“ ist eine fortlaufende, umfangreiche fotografische Serie, die sich mit den Umweltveränderungen in den Küstenstädten Amerikas, insbesondere in Florida, wo die Künstlerin seit 2016 lebt, auseinandersetzt. Anastasia Samoylova (*1984, Moskau, Russland) bewegt sich hier an Orten zwischen Paradies und Katastrophe; ihre Aufzeichnungen der Klimakrise sind jedoch weniger unmittelbare Reportage als lyrische Beschwörung. Die Farbpalette reicht dabei von tropisch bis pastellig-schön, kennt aber auch die Gefahr – Verwesung, Abnutzung und Zerfall. Samoylovas besonderes Augenmerk liegt auf der Verbreitung einer ambitionierten Metaphorik, die die offizielle Ikonografie der Region bildet, jedoch in krassem Gegensatz zu den Realitäten der sich immer weiter ausbreitenden Umweltkatastrophe steht. Von Luftaufnahmen, die etwas von der durchtränkten Topografie vermitteln, bis hin zu Nahaufnahmen von Architektur, vertriebener Tierwelt und unverwüstlicher Flora fängt Samoylova die „verführerische und zerstörerische Dissonanz“ einer Gegend ein, die massiv in ihr eigenes Image und ihren sonnigen Zauber investiert hat, während sie gleichzeitig in zunehmend bedrohlichem Ausmaß vom steigenden Meeresspiegel, von Sturmfluten und Küstenerosion – allesamt durch den Klimawandel hervorgerufen – betroffen ist.
Installationsansichten
The Cube Eschborn, 2022 © Robert Schittko