Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2026

Die vier Finalist*innen des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2026 sind: Jane Evelyn Atwood, Weronika Gęsicka, Amak Mahmoodian und Rene Matić.  

Die ausgewählten Arbeiten umfassen kollaborative Fotoprojekte, investigative Dokumentarfotografie, Installationen, Video- und Soundarbeiten sowie Werke experimenteller konzeptueller Fotografie. Themen wie Exil und Gedächtnis, Geschlechterungleichheiten und der Einsatz für Gleichstellung, Identität und Zugehörigkeit, Subkultur und Klasse in unserer Gegenwart sowie die sich verschiebenden Grenzen zwischen fotografischer Realität und Fiktion bestimmen die zum Nachdenken anregende, eindrucksvolle Shortlist.

Die Ausstellung ausgewählter Werke aus den Projekten der vier Künstler*innen wird vom 6. März bis 7. Juni 2026 in The Photographers’ Gallery, London zu sehen sein. Im Anschluss daran wird sie vom 3. September 2026 bis 17. Januar 2027 in der Deutsche Börse Photography Foundation in Eschborn/Frankfurt gezeigt. Der*die Gewinner*in der mit 30.000 Britischen Pfund dotierten Auszeichnung wird im Rahmen einer Preisverleihung am Donnerstag, dem 14. Mai in der Photographers’ Gallery, London bekanntgegeben. Die anderen drei Finalist*innen erhalten jeweils ein Preisgeld von 5.000 Britischen Pfund.

Jury

Dies diesjährige Jury setzt sich zusammen aus: Elisa Medde (Direktorin der Foto Colectania Foundation in Barcelona, Spanien; vormalige Chefredakteurin des Foam Magazine), Newsha Tavakolian (Fotografin und Mitglied bei Magnum Photos), Mark Sealy OBE (Geschäftsführender Direktor von Autograph ABP), Anne-Marie Beckmann (Deutsche Börse Photography Foundation) und Shoair Mavlian (The Photographers’ Gallery) als stimmberechtigte Vorsitzende.

 

Jane Evelyn Atwood Prisoner in the prison workshop, Centre Pénitentiaire Les Baumettes, Marseille, France, 1991 © Jane Evelyn Atwood

Jane Evelyn Atwood 

Jane Evelyn Atwood (* 1947, New York, USA) wurde für ihre Publikation „Too Much Time / Trop de Peines“ ausgewählt, eine 2024 bei Le Bec en l’air, Marseille neu aufgelegte und überarbeitete zweisprachige Ausgabe von zwei ursprünglich im Jahr 2000 veröffentlichten Werken.

Atwoods „Too Much Time / Trop de Peines“ geht auf eine sich über zehn Jahre erstreckende Untersuchung zurück, in der die Künstlerin während der 1990er Jahre inhaftierte Frauen in vierzig Gefängnissen in neun Ländern begleitet hat. Mittels intensiver Recherche und großer Empathie dokumentiert Atwood die Lebenswirklichkeit der Insassinnen: ihren beschränkten Zugang zu Hygieneeinrichtungen, den Mangel an gynäkologischer und psychischer Gesundheitsversorgung sowie die massiven Ungleichheiten im Vergleich zu männlichen Häftlingen. Die Intimität ihrer Schwarz-Weiß-Bilder beruht auf ihrem langjährigen Engagement und unerschütterlichen Einsatz für inhaftierte Frauen – ein Anliegen, für das sie sich bis heute einsetzt. Seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 2000 hat Atwoods Botschaft noch an Dringlichkeit gewonnen: Die Zahl der Gefängnisinsassinnen ist seitdem weltweit um 50 bis 60 Prozent gestiegen. Getrieben von einer tiefen Hingabe für soziale Gerechtigkeit und dem Verlangen, Systeme der Ausgrenzung aufzudecken, gibt Atwood Leben und Geschichten Sichtbarkeit, die viele von uns lieber ausblenden.

Weronika Gęsicka Bessa Vugo, from the ‘Encyclopaedia’ series, 2023-2025 Courtesy of the artist and Jednostka Gallery

Weronika Gęsicka 

Weronika Gęsicka (* 1984, Włocławek, Poland) wurde für ihre Publikation „Encyclopaedia“, herausgegeben im November 2024 von BLOW UP PRESS und Jednostka Gallery, ausgewählt.

„Encyclopedia“ greift ein reales Phänomen auf: falsche Lexikoneinträge, die vorsätzlich in Enzyklopädien, Wörterbücher oder Lexika eingefügt werden. Ursprünglich wurden sie als eine Art Falle angelegt, um Verstöße gegen das Urheberrecht aufzudecken, oder als spielerische Möglichkeit für Redakteur*innen, ihre Spuren im Text zu hinterlassen. Diese erfundenen Informationen tragen auf subtile Weise dazu bei, unser Vertrauen in Quellen auszuhöhlen, die einmal als verbindlich galten. In „Encyclopaedia“ präsentiert Gęsicka Hunderte dieser gefälschten Begriffserklärungen, die alle aus historischen Publikationen stammen.

Indem sie manipulierte Stockfotos und KI-generierte Bilder einsetzt, interpretiert Gęsicka die falschen Einträge neu und unterstreicht auf diese Weise die Spannung zwischen Wahrheit und Erfindung ebenso wie die fragile Grenze zwischen Realität und Fiktion.

Wo KI-generierte Inhalte zur Norm geworden sind und Bilder problemlos abgeändert werden können, wird die Frage virulent, was geschieht, wenn auch nur ein einziger Fehler in einer Quelle auftritt, der wir vertrauen. In einer Zeit, die von Fehlinformationen und Manipulation geprägt ist, erinnert das Werk so auf humorvolle Weise daran, dass Wissen, das einst als gefestigt und objektiv galt, heute ein durchaus unsicheres Terrain ist.

Amak Mahmoodian One Hundred and Twenty Minutes, 2019-2024. Courtesy of the artist

Amak Mahmoodian 

Amak Mahmoodian (* 1980, Shiraz, Iran) wurde für die Ausstellung „One Hundred and Twenty Minutes“ beim Bristol Photo Festival, UK (16. Oktober bis 17. November 2024) ausgewählt.

Mit Fotografien, Gedichten, Texten, Zeichnungen und Videos erforscht die Künstlerin emotionale und seelische Landschaften im Exil: Wie sich in Träumen neue Lebensentwürfe formen und die Vergangenheit unablässig in die Gegenwart drängt. Sechs Jahre lang arbeitete Mahmoodian eng mit 16 Mitwirkenden aus 14 Ländern zusammen. Ihre über die Jahre geführten Gespräche konzentrierten sich auf immer wiederkehrende Träume und die Auswirkungen des Exils auf Erinnerung und Identität.

Mahmoodian begann ihre Karriere als multidisziplinäre Künstlerin und Erzieherin im Iran; seit 2010 lebt sie in Großbritannien, da es ihr verwehrt ist, in ihre Heimat zurückzukehren. Träume bilden für sie ein lebenswichtiges, zwischen Realität und Fantasie changierendes Band zu ihrer verlorenen Heimat und Familie. In „One Hundred and Twenty Minutes“ – so lange ungefähr träumen Kinder und Erwachsene jede Nacht – verleiht Mahmoodian den Träumen ihrer Mitwirkenden eine visuelle, poetische Form. Diese Momente laden uns zu einer eindringlichen Erfahrung des geteilten Träumens ein. In einer Zeit, in der Migrant*innen und vertriebene Gemeinschaften aufgrund ideologischer Verschiebungen weiter marginalisiert werden, stellt sich Mahmoodian eine Welt ohne Grenzen vor, in der gemeinsame Träume Brücken über Geografie, Politik und Zeit hinweg schlagen. 

Rene Matić Jabari Gooden memorial flowers, Peckham, 2022 © Rene Matić. Courtesy of the Artist and Arcadia Missa, London

Rene Matić 

Rene Matić(* 1997, Peterborough, UK) wurde für die Ausstellung „AS OPPOSED TO THE TRUTH“ an der CCA Berlin, Deutschland (8. November 2024 bis 15. Februar 2025) ausgewählt.

In Form von neu produzierten Fotografien, Installationen und Klangstücken befasst sich das Projekt „AS OPPOSED TO THE TRUTH“ mit Identität und Zugehörigkeit, Subkultur, Klasse und Familie. Tagebuchartige Schnappschüsse fangen alltägliche Momente mit intimer Poesie ein. Kombiniert mit gesammelten Gegenständen, Filmen und Tonaufnahmen fügen sich die Bilder zu einem lebendigen und vielschichtigen Portrait zeitgenössischen Lebens zusammen.

Matićs künstlerische Praktiken, die sich über Fotografie, Film und Skulptur erstrecken, treffen in einem Punkt zusammen, den Matić als „rude(ness)“ [Ungezogen(heit)] bezeichnet – eine Evidenz und zugleich Würdigung des Dazwischen. In einem Klima des zunehmenden Rechtspopulismus und rein performativen Mitgefühls wendet sich Matić zwischenmenschlichen Beziehungen als Orte des Widerstands und der Sorge zu, der Art und Weise, wie Menschen füreinander einstehen und lernen, mit Verletzlichkeit zu leben – trotz oder gerade wegen der sogenannten „Wahrheiten“ unserer Zeit. Intimität, Verletzlichkeit und Begehren werden für Matić zu Werkzeugen des Überlebens.