Alec Soth
Die Träume am Fluss
Der Mississippi ist einer der längsten Flüsse der Welt. Er entspringt im nördlichen Minnesota, durchkreuzt zehn Bundesstaaten und mündet nach fast 4.000 Kilometern ins Delta am Golf von Mexiko, 160 Kilometer südlich von New Orleans. Er ist ein Ort der Geschichten und Mythen, der viele Künstler*innen inspiriert hat: Mark Twains Huckleberry Finn hat hier sein Unwesen getrieben; in „Big River“ verfolgt Johnny Cash am Mississippi die Spur der Frau, an die er sein Herz verloren hat; mit dem Delta Blues hat der Fluss sogar einen eigenen Musikstil geprägt, rau und intensiv, mit leidenschaftlichem Gesang und eindringlichem Rhythmus. Alec Soth hat mit seinen Fotografien über mehrere Jahre hinweg Lebensformen am Fluss aufgespürt, sich mit den Menschen, die an seinem Ufer leben, und ihren Träumen auseinandergesetzt.
Alec Soth ist in Minnesota geboren und aufgewachsen und lebt dort noch heute. Die Ausdehnung und die Kraft des Mississippi haben ihn schon immer fasziniert, genauso wie die kleinen Geschichten, die den Fluss umwittern. Auf der Spurensuche ist Alec Soth von 1999 bis 2004 immer wieder dem Verlauf des Mississippi gefolgt – mit einer Plattenkamera und viel Zeit. Die brauchte er, um das Vertrauen der Menschen am Fluss zu gewinnen und um die Intimität herzustellen, die seine Fotografien prägt. So sind 46 virtuos komponierte Fotografien entstanden, die allerdings jeder Schaufelraddampfer-Romantik entbehren. Alec Soth zeigt Landschaften und Menschen am Ufer des Mississippi; seine Bilder erzählen von Armut, Verfall und Einzelschicksalen. Zum Beispiel vom bulligen Bodybuilder Lenny: Halbnackt posiert der Bauarbeiter, der sein Gehalt mit erotischer Massage aufbessert, mit seinem Rottweiler vor der Kamera. Sein Sohn ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen; seine Therapie ist der Kraftsport – er träumt davon, 100 Jahre alt zu werden und dann immer noch genauso auszusehen.
Träume sind das Leitmotiv der Bilderserie. Denn sie sind der Ausweg aus einem rauen Alltag. Immer wieder fotografiert Alec Soth Betten, Matratzen und Sofas – vermeintliche Rückzugsgebiete aus dem Hier und Jetzt. Nicht umsonst nannte er seine Fotoserie „Sleeping by the Mississippi“. Alec Soths Fotografien gewähren tiefe Einblicke in das Seelenleben einer ganzen Gesellschaft und ihrer Individuen: Die Betrachter*innen können den Menschen die Träume von den Augen ablesen, ihr Innerstes erkennen in Blicken voller Sehnsucht und Melancholie. In „Sleeping by the Mississippi“ geht es um den Traum vom Glück – doch am Mississippi geht er nicht in Erfüllung.
Biografische Daten
1969
geboren in Minneapolis, Minnesota, USA
1992
Bachelor of Arts, Sarah Lawrence College, New York
2006
Finalist des Deutsche Börse Photography Prize
lebt in Minneapolis, Minnesota, USA