Anastasia Samoylova
Der pastellige Schein trügt
Miami ist für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. An der Ostküste gelegen, mit traumhaften Stränden und von Palmen gesäumten Boulevards lockt die Großstadt im US-Bundesstaat Florida jedes Jahr mehr als 20 Millionen Tourist*innen an. Sie ist auch ein äußerst interessanter Immobilienstandort. Der seit Jahren herrschende Boom lässt die Kaufpreise für Häuser, insbesondere jene, die am Wasser gelegen sind, in absurde Höhen steigen. Dabei sind die Prognosen für die Stadt düster: Miami kämpft mit jährlich neuen Hitzerekorden, Stürmen und Fluten. Während viele Politiker*innen leugnen, dass der Klimawandel die Region hart treffen wird, warnen zahlreiche Stimmen aus der Wissenschaft davor, dass Miami ab 2060 kaum noch bewohnbar sein wird.
Als die in Russland aufgewachsene Fotografin Anastasia Samoylova 2016 nach Florida zog, spürte sie relativ schnell, dass die schöne Fassade Miamis an vielen Stellen bröckelt. Ein Jahr später verwüstete der Hurrikan Irma die Stadt und zwang zahlreiche Menschen in die vorübergehende Obdachlosigkeit. Plötzlich wurde die zuvor stets abstrakt erscheinende Klimakatastrophe Teil ihrer Lebensrealität. Samoylova begann, die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das vermeintliche Paradies festzuhalten, und erweiterte innerhalb von vier Jahren ihren Radius auf ganz Florida und die drei benachbarten Südstaaten. Doch es sind keine Schreckensbilder, die sie uns in ihrem Buch „FloodZone“ zeigt. Vielmehr verführen ihre Fotografien – zumindest auf den ersten Blick – mit pastellig-bunten Farbwelten, die einen glauben lassen, dass sich hier das gewohnte Stereotyp der Stadt zeigt. Bei genauerer Betrachtung jedoch entdeckt man auf den pinken Häuserfronten grünen Schimmel und Stockflecken. Auf den Straßen liegen entwurzelte Palmen, und die vermeintlichen Luxusvillen werden als Werbetafeln und Plakatwände enttarnt. Alles, was im ersten Augenblick schön erscheint, entpuppt sich als Fassade. Die Umweltschäden offenbaren die zunehmende Diskrepanz zwischen den Werbetafeln der Investor*innen und der Realität für die in Florida lebenden Menschen.
Samoylovas Bilder sind nicht anklagend, sie spielen vielmehr mit den paradiesischen Motiven, die man gemeinhin mit Badeorten verbindet. Auf subtile Art und Weise macht sie darauf aufmerksam, dass der ausufernd luxuriöse Lebensstil einen allzu hohen Preis hat.
Biografische Daten
1984
geboren in Moskau, Russland
2007
Masterabschluss an der Russian State University for the Humanities, Moskau
2011
Masterabschluss an der Bradley University, USA
2022
Finalistin für den Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022
lebt in Miami and New York City, USA