Arnold Odermatt
Idyllische Dramen
Fünfzig Jahre lang dokumentierte Arnold Odermatt Verkehrsunfälle auf den Straßen des Schweizer Kantons Niwalden. Der ehemalige Oberleutnant war Polizeifotograf, seine Bilder dienten der Beweisaufnahme. Handwerkliche Präzision betrachtete er als das A und O seines Berufs: „Ein gutes Foto ist scharf, man muss alles darauf sehen, was man möchte“, lautet Odermatts Credo. Seine technische Ausstattung bestand aus einer Rolleiflex-Kamera, einem Stativ und einer Magnesiumpatrone, deren Blitz nächtliche Unfallorte für 13 Sekunden taghell erleuchtete. Erst Mitte der 90er Jahre – Arnold Odermatt war bereits pensioniert – wurden seine Gebrauchsfotos von der internationalen Kunstszene entdeckt.
Autowracks, Asphalt und Kreidestriche: Zwar waren Arnold Odermatts Fotografien ausschließlich zum Dienstgebrauch bestimmt, dennoch sind sie von bloßer Tatsachenfeststellung weiter entfernt, als sich das für einen Polizeifotografen gehört. Manche Unfallautos liegen wie überlebensgroße Käfer hilflos auf dem Rücken, andere starren einäugig mit zähnefletschendem Kühlergrill in die Kamera, wieder andere ergeben sich resigniert ihrem Unglück und versuchen dafür unser Mitleid zu erheischen. Odermatts Blick macht bei den beschädigten Fahrzeugen nicht Halt, seine Aufnahmen fangen auch das scheinbar nebensächliche Drumherum der Szene ein: einen drohenden Wolkenhimmel, ein nebelverhangenes Bergpanorama, eine staunende Menge am Unfallort. Seltsam vielleicht – oder eben gerade nicht –, dass den Bildern trotz des zerstörerischen Moments in diesen Unfällen nichts Spektakuläres anhaftet: Die kleinen Dramen, deren Zeug*innen wir werden, können die schweizerische Kleinstadtidylle allenfalls bedrohen – aber nicht aufbrechen. Odermatts Welt ist aufgeräumt, ordentlich und friedlich zerbeult.
Biografische Daten
1925
geboren in Oberdorf, Schweiz
1948
Eintritt in die Polizei
2001
zeigt seine Fotografien bei der Biennale Venedig
2021
stirbt in der Schweiz