Aymeric Fouquez
Vom Da-sein und Da-bleiben
„Die Geschichte ist das Objekt einer Konstruktion“, hat der Philosoph und Literaturkritiker Walter Benjamin einmal bemerkt. Als sich 2014 der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährte, wogte das Thema eine Zeitlang durch die deutsche Kultur- und Medienlandschaft – Fernsehdokumentationen, Kunstaustellungen und neue Buchveröffentlichungen beleuchteten „The Great War“, wie die Engländer den bis dahin umfassendste Krieg der Menschheitsgeschichte nennen, vor dem Hintergrund seiner existenziellen Folgen für das Weltgeschehen so intensiv wie selten zuvor. Allerdings steht fest: Die Erinnerungskultur, die aus jenen schicksalshaften Kriegsjahren erwachsen ist, unterscheidet sich stark in den damals beteiligten Nationen: Während der Erste Weltkrieg beispielsweise in Frankreich als Teil des kollektiven Gedächtnisses immer präsent und – anhand unzähliger Denk- und Mahnmale – auch unübersehbar blieb, orientiert sich öffentliches Erinnern hierzulande vielmehr an den Schrecken des Holocausts.
Auf ganz eigenständige Art reflektiert die Serie „Nord“ des jungen französischen Fotografen Aymeric Fouquez das Phänomen historischer Gedenkstätten. In stillen, zurückgenommenen Landschaftsbildern zeigt sie die Friedhöfe der im Ersten Weltkrieg gefallenen britischen Soldaten in Nordfrankreich und Belgien. Sie gehören dort zum typischen Landschaftsbild, seit die Regierungen den beteiligten Nationen nach Kriegsende kleine Parzellen der Schlachtfelder überließen, damit sie dort ihre Gefallenen beisetzen konnten.
In kühlen, blassen Farben, zumeist von erhöhtem Standpunkt und in einheitlicher Distanz zum Motiv rufen diese Aufnahmen unweigerlich die fotografische Tradition Bernd und Hilla Bechers in Erinnerung, die seit den späten 1950er Jahren deutsche Industriearchitektur in sachlich-analytischen Fotoserien dokumentierten. Doch geht es Fouquez um mehr als den Abgleich formeller Ähnlichkeiten und Unterschiede. Sein grau-weißer, weiter, hermetischer Himmel über niedrigem Horizont setzt das subtile Gefüge von Farbe, Fläche und Form der Landschaft zu sehr in Szene, um neutral zu sein.
Tatsächlich fallen die kleinen Einfriedungen mit ihren schmucklosen, streng linearen Grabsteinreihen neben abgenutzten Werkshallen, Stromtrassen, betonierten Landstraßen oder Ackergrenzen oft erst auf den zweiten Blick ins Auge. Die unmittelbare Umgebung der Anlagen vermag heute nur noch entfernt das Prinzip des „Heldengedenkens“ wachzurufen, durch das sie einst errichtet wurden. Jedoch zeigt „Nord“ keine Karikaturen: Auch wenn die moderne Welt immer mehr Raum einfordert, macht sie anerkennend Halt vor den niedrigen, stoischen Mauern dieser Areale. Als ästhetische Inseln inmitten von Nutzlandschaft beweisen die Friedhöfe ihre Fähigkeit zur Koexistenz, durch die sie ihrer Umgebung eine bleibende historische Schwerkraft einschreiben.
Biografische Daten
1974
geboren in Château-Thierry, Frankreich
1993–1997
studiert Geschichte an der Université Paris-Est Créteil Val-de-Marne, Paris
1997–1999
studiert Bildende Kunst an der Université de Vincennes in Saint-Denis, Paris
1999–2002
studiert Fotografie an der École nationale supérieure de la photographie, Arles
2002–2007
studiert Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HfBK)
2007/2008
erhält den Nachwuchspreis für Dokumentarfotografie der Wüstenrot Stiftung
2008
erhält den Bernhard von Lindenau Preis des Lindenau-Museums Altenburg
lebt in Köln