Beat Streuli
Anonyme Intimität
„Das kann ich auch“, mag sich der*die eine oder andere Betrachter*in von Beat Streulis Fotografien denken. Oder ein wenig differenzierter: „Warum soll das, was dort an der Wand hängt, so viel besser sein als meine eigenen Schnappschüsse?“ Streuli schrecken solche Reaktionen nicht. Er hat keine Berührungsängste mit dem breiten Publikum. Und an der Fotografie schätzt er gerade, dass sie – im Unterschied zu technisch komplizierteren Medien – den direkten Zugang erlaubt. Millionen von Freizeitfotograf*innen können nicht irren.
Aber was hängt eigentlich dort an der Wand? Überwiegend Fotografien von Leuten, die Streuli während der vergangenen zehn Jahre in den Einkaufsstraßen internationaler Großstädte aufgenommen hat: in London, Tokio, New York, Sydney oder anderswo. Zeitgenössische Gesellschaftsportraits, eine heterogene Menschenmischung und immer wieder Varianten vom Typus des*der urbanen Jugendlichen. Die Fotos sehen inszeniert aus, doch das täuscht. Die Arbeit mit Models lehnt Streuli ab, statt dessen greift er lieber zum Teleobjektiv. Zwar agiert er nicht wirklich im Verborgenen, sondern nur aus der Distanz. Dennoch: Die Menschen merken nicht, dass sie fotografiert werden.
Sicherlich hat das auch einen Hauch von Voyeurismus. Die Kamera gewährt Einblick in andere Leben. Sie tut dies, weil Streuli den Auslöser immer dann betätigt, wenn sich die Personen unbeobachtet glauben. Mehr noch, wenn sie die Maske ihres öffentlichen Gesichts kurz fallen lassen, um einen Moment ganz bei sich selbst zu sein. Den Fotografen fasziniert der Reiz des Alltäglichen. Bei seinen Portraits sucht er ihn in der Spannung zwischen öffentlicher Anonymität und intimer Selbstversunkenheit.
Nichts ist interessanter als die Realität, scheinen Streulis Bilder zu verkünden. Aber ein Irrtum ist es zu glauben, durch einfaches Abkonterfeien könne man sie einfangen. „Hängen Sie doch einen authentischen Schnappschuss an die Wand, dann werden Sie es merken“, sagt Beat Streuli. „Da sind hunderttausend Zufälligkeiten, die stören und die Realität eben nicht realistisch aussehen lassen.“ Wie die Entstehung seiner Fotografien ist auch ihre Präsentation das Ergebnis kompositorischer Reflexion. Großformatige Projektionen, Plakatierungen und Videoinstallationen sollen die Natürlichkeit der Bilder steigern. Immer öfter stellt Streuli sie auch an dem Ort aus, wo er sie aufgenommen hat: auf der Straße.
Biografische Daten
1957
geboren in Altdorf, Schweiz
1977-1980
Schule für Gestaltung in Basel und Zürich
lebt in Brüssel