Boris Mikhailov

Boris Mikhailov, Untitled 135 87 x 63, 5 cm, c-print
Boris Mikhailov, Untitled 06587 x 63, 5 cm, c-print
Boris Mikhailov, Untitled 04587 x 63, 5 cm, c-print
Boris Mikhailov, Untitled 332 87 x 63, 5 cm, c-print
Boris Mikhailov, Ohne Titel 370, 1997-1998, 82 x 60 cm, c-print
Boris Mikhailov, Ohne Titel 4#02, 1997-1998, 82 x 60 cm, c-print
"Boris Mikhailov, Ohne Titel 067, 1997-1998, 82 x 60 cm, c-print"

Gesellschaftsbarometer

Alle totalitären Regime fürchten die Macht der Bilder. Alle, die in der ehemaligen Sowjetunion öffentlich einen Fotoapparat in die Hand nahmen, erregten die Aufmerksamkeit der Miliz: War sie keine staatlichen Berichterstatter*innen, wurde sie als potenzieller Spion*innen verdächtigt. Fotografie – jedenfalls die offizielle Form – war größtenteils Pressefotografie; sie hatte die Errungenschaften der sozialistischen Gesellschaft ins rechte Licht zu setzen. Künstlerische Fotografie existierte, wenn überhaupt, nur unter dem Schutzmantel des Amateurhaften. Privat durfte man fotografieren und im häuslichen Waschbecken entwickeln, was man wollte. Zu seinem*ihrem Motiv oder Modell hatte der*die „Amateurfotograf*in“ eine spezielle Beziehung, in der Werte wie Nähe, Verbundenheit und Vertrautheit eine große Rolle spielten. Diesem Umfeld entstammt Boris Mikhailov. Sein facettenreiches Werk von Schnappschüssen, Banalfotografie, Handkolorierungen, Reportagefotos und Selbstinszenierungen entstand während der vergangenen vierzig Jahre – aber bis in die neunziger Jahre ist es kaum öffentlich gezeigt worden.

Die Bilder, die Mikhailov unter dem Titel „Case History“ zusammenfasste – und von denen hier nur einige der ästhetisch abgemilderten zu sehen sind – entstanden in den Jahren 1997 und 1998 in seiner ukrainischen Heimatstadt Charkow. Sie dokumentieren die Schattenseite der Perestroika: zerfallene Häuser, marode Straßen, stillgelegte Fabriken, armselige Märkte, aber vor allem verwahrloste Männer, Frauen, Kinder – allesamt Gestrandete der nachsozialistischen Gesellschaft.

Diese Bilder schockieren. Denn Mikhailov zeigt die obdachlosen Menschen von Charkow hautnah, teilweise nackt und fast ohne sittlich-konventionelle oder ästhetische Filter, die dem Betrachter eine innere Distanzierung erlauben würden. „Ich weiß, dass die Leute solche Fotos nicht betrachten wollen“, sagt Boris Mikhailov, „aber erst wenn man das Elend im Bild sieht, beginnt man es auch auf der Straße wahrzunehmen.“

Biografische Daten

1938

geboren in Charkow, Ukraine

Ausbildung zum technischen Ingenieur

1966

beginnt zu fotografieren

1997

Albert Renger-Patzsch Preis, Europäisches Fotobuchprojekt mit der Unterstützung durch die Dietrich Oppenberg Stiftung, Museum Folkwang, Essen

2000

Hasselblad Foundation International Award in Photography, Göteborg

2001

Kraszna-Krausz Buch Preis für das beste Fotobuch, London; Citybank Private Bank Photogrpahy Prize, London

lebt in Charkow und Berlin