Chantal Michel
Genius loci
Wie verhält sich ein Körper zum Raum? Die Frage mag sich ein Bildhauer stellen, der an dreidimensionalen Plastiken arbeitet, die ihre Wirkung im Raum entfalten. Chantal Michel hat sich Mitte der 90er Jahre mit diesem Problem auseinander gesetzt, als sie an der Karlsruher Kunstakademie Skulptur studierte. Dabei missfiel ihr der kühl-technische Charakter der von ihr geschaffenen unbelebten Objekte. Sie begann, darüber nachzudenken, wie ein Körper beschaffen sein müsste, der sich dem Raum einfühlt und gleichzeitig die Distanz zur Künstlerin selbst überwindet. Die Lösung, die sie fand, ist denkbar einfach: Der Körper, der diese Voraussetzungen erfüllt, kann nur ihr eigener Körper sein.
Chantal Michel hat sich seitdem in unterschiedlichen Räumen selbst inszeniert. Ihre Bildserien zeigen sie zum Beispiel in einer stillgelegten Brauerei und in einem Hotel. Chamäleonhaft wandelt sie dabei ihre Gestalt: Kostüm, Gestik und Mimik fügen sich subtil der bedrohlichen respektive beschaulichen Umgebung ein. Die Inszenierung lässt die Grenze zwischen Objekt und Subjekt verschwimmen: Chantal Michel wird zu einem vom Raum fremdbestimmten Objekt – der Raum hingegen durch die Anwesenheit des personifizierten Ortsgeistes zum Subjekt.
Wissen wir jetzt, warum die Frau überm Bottich liegt, in der Besenkammer hängt, in der Ecke steht oder hinter dem Vorhang lauert? Nein. Darauf gibt es vermutlich auch keine restlos befriedigenden Antworten. Chantal Michels Bildserien verunsichern die Betrachter*innen: Sie sind Einbrüche des Skurrilen in eine vom Kausalitätsprinzip regierte Welt. Sie zeigen die Existenz dieses „Anderen“ – erklären wollen und können sie es nicht.
Biografische Daten
1968
geboren in Bern
1989–93
Studium an der Schule für Gestaltung, Bern, Keramikklasse
1994–98
Studium an der Kunstakademie Karlsruhe
2002
Performance-Förderpreis, Alexander-Clavel-Stiftung
lebt in Thun, Schweiz