Dana Lixenberg
Imperial Courts
1992 gerieten einige südliche Stadtteile von Los Angeles wiederholt in die Schlagzeilen, da sie von sozialen Unruhen erschüttert wurden. Auslöser der Ausschreitungen war der Fall von Rodney King – einem Afroamerikaner, der Opfer unverhältnismäßiger Polizeigewalt geworden war. Trotz erdrückender Beweislast eines Videomitschnitts wurden die Polizisten von einer überwiegend weißen Jury freigesprochen. Unter den Journalist*innen, die in die betroffenen Gegenden von Los Angeles kamen, um über die Ausschreitungen und deren Hintergründe zu berichten, war auch die junge niederländische Fotografin Dana Lixenberg, die kurz zuvor in die USA gezogen war. Sie hatte von einem niederländischen Magazin den Auftrag erhalten zu dokumentieren, wie die Gegend nach den Unruhen wieder in das alltägliche Leben zurückfand.
Ein Jahr später kehrte sie nach South Central Los Angeles zurück. Nachdem sie Tony Bogard, den Anführer der Crips, einer der drei großen Gangs in den USA, getroffen hatte, führte sie ihr Weg in das staatliche Wohnprojekt Imperial Courts in Watts. Sie wollte sich an einem Gegenentwurf zur oft eindimensionalen und von Sensationslust bestimmten Medienberichterstattung versuchen und begann ein eigenes Fotoprojekt über die Menschen in Imperial Courts. Sie entschied sich für die Nutzung einer Großformatkamera und den damit verbundenen langsamen, durchdachten Aufnahmeprozess und porträtierte die überwiegend afroamerikanischen Bewohner*innen in Schwarz-Weiß. Das Vorhaben entwickelte sich zu einem Langzeitprojekt: Über einen Zeitraum von 22 Jahren besuchte Lixenberg Imperial Courts immer wieder. 2015 veröffentlichte sie die Einzel- und Gruppenporträts, ergänzt durch Ansichten des Wohnviertels als Fotobuch unter dem Titel „Imperial Courts 1993-2015". Zusammen mit den ebenfalls entstandenen Video- und Audioaufnahmen sowie einer Online-Plattform geben die Bilder einen umfassenden und nuancierten Einblick in das Leben der Menschen, deren Wohnviertel unter den Folgen des institutionellen Rassismus, von Gewalt und Perspektivlosigkeit leidet.
Für Dana Lixenberg liegt ein Großteil der Dramaturgie des Fotografierens im Festhalten der „kleinen Gesten, der Feinheiten der Haut, der Körpersprache, der Art und Weise, wie jemand eine bestimmte Pose einnimmt". Daher überrascht es nicht, wie einfühlsam ihre Porträts wirken. Oft sind es die konzentrierten, festen Blicke der Fotografierten, die ein stilles Selbstbewusstsein, Mut und Standhaftigkeit vermitteln. Zugleich offenbaren Details einen Anflug von Verletzlichkeit. Lixenberg fotografierte ausschließlich im Freien, um die jeweilige private Umgebung nicht in die Porträtaussage einzubeziehen. Sie vermeidet stereotype Zuordnungen und tritt den Personen mit großem Respekt gegenüber. Zeitliche Sprünge zwischen den Aufnahmen werden durch die Frisuren und die Kleidung deutlich, aber auch anhand der Veränderungen, die in Imperial Courts stattgefunden haben: Im Verlauf der Jahre waren einige Bewohner*innen getötet worden oder im Gefängnis gelandet, Kinder auf früheren Bildern waren erwachsen geworden und hatten begonnen, eigene Familien zu gründen. Das Projekt trägt somit nicht nur dazu bei, eine in der Öffentlichkeit unterrepräsentierte Gesellschaftsgruppe sichtbarer zu machen, sondern ist auch ein wichtiges Stück Erinnerung, ja sogar eine Chronik der Gemeinschaft von Imperial Courts.
Biografische Daten
1964
geboren in Amsterdam, Niederlande
1984-86
Studium am London College of Printing, London
1987-89
Studium an der Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam
2015
publiziert "Imperial Courts, 1993-2015" bei Roma Publications
2017
gewinnt den Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2017
lebt in Amsterdam