Diane Arbus

Diane Arbus, Susan Sontag with her son David, N.Y.C., 1969, 37 x 37 cm, gelatin silver print
Diane Arbus, Susan Sontag with her son David, N.Y.C., 1969, 37 x 37 cm, gelatin silver print
Diane Arbus, Susan Sontag with her son David, N.Y.C., 1969, 37 x 37 cm, gelatin silver print

Im Auge der Betrachter*innen

Die Fotografie hat bereits früh die Fähigkeit entwickelt, sich insbesondere auch jenen zu widmen, die im toten Winkel der Wahrnehmung der meisten Menschen liegen. Kaum eine Stadt bietet dafür so viel Gelegenheit wie der dynamische Moloch New York City. Zu den ganz frühen Beispielen einer Schilderung der „Freaks“ dort gehören die Arbeiten von Jacob August Riis. Der gebürtige Däne zog ab den späten 1870er Jahren im Auftrag unterschiedlicher New Yorker Zeitungen durch die Slums und Spelunken der Metropole und fotografierte die Ärmsten der Armen, Tagedieb*innen, Vagabund*innen und Dirnen, jedoch immer mit dem größten Einfühlungsvermögen und dem Wunsch, ihre Situation sichtbar zu machen. Wenige Jahrzehnte später war es der charismatische Fotoreporter Arthur Fellig, genannt „Weegee“, der die bunte Straßengesellschaft des „Big Apple“ porträtierte – drastischer, doch mit der gleichen tiefen Sympathie für die Randfiguren der Gesellschaft.

Auch Diane Arbus widmete sich in ihrem fotografischen Werk vor allem dem Außenseiter*innentum und führte somit der amerikanischen Gesellschaft vor, was diese so gern verdrängte. Sie schafft dabei – einer Bildhauerin gleich – aus dem „Rohmaterial Mensch“ grandiose Kunstbilder, die die Abgebildeten unabhängig von Status und Milieu überhöhen, sodass äußerst eindrückliche Porträts entstehen. Mit größter Intensität vermittelt sie die in deren Physiognomie eingezeichnete persönliche Geschichte in einer Unmittelbarkeit, die in der Fotografiegeschichte nahezu einmalig ist. Arbus’ Werke bannen die Betrachter*innen, jedoch ohne ein Gefühl der Identifikation herbeizuführen, eher eins der Abgrenzung.

Der stets direkte Blick in die Kamera ist Zeugnis der Kontaktaufnahme mit ihren Protagonist*innen und verweist auf deren mehr oder weniger bewussten Akt der Selbstdarstellung. Freudig stolz, wie bei dem Zirkusmädchen mit Herzhose oder nachdenklich wie im Fall der Kritikerin Susan Sontag. Letztere setzte sich in ihrem berühmten Essay „Über Fotografie“ zwölf Jahre nach diesem Porträt von Diane Arbus und sechs Jahre nach dem frühen Tod der Fotografin intensiv mit deren Bildsprache auseinander.

Diane Arbus hatte Fotografie bei Berenice Abbott studiert, von größter Bedeutung für ihren Werdegang wurden aber vor allem die später folgenden Workshops der amerikanischen Fotografin Lisette Model. Zahlreiche ihrer Porträts und Fotoessays fanden ab Beginn der 1960er Jahre durch Veröffentlichung in großen Magazinen wie Esquire und Harper’s Bazaar ein großes Publikum. Das Museum of Modern Art in New York zeigte ihre Arbeiten erstmals 1967 und würdigte ihr fotografisches Werk ein Jahr nach ihrem Tod mit einer umfangreichen Retrospektive. Die intensive Auseinandersetzung mit ihrem Werk in Form von zahlreichen Ausstellungen und wissenschaftlicher Forschung setzt sich bis heute fort. 

 

Biografische Daten

1923

geboren als Diane Nemerov in New York, USA

1956-58

studierte Fotografie mit Lisette Model, beginnt freiberuflich für Esquire, Harper’s Bazaar und The Sunday Times Magazine zu arbeiten

1959

begann freiberuflich zu arbeiten

1960er Jahre

Lehraufträge an der Parsons School of Design und the Cooper Union, New York sowie an der Rhode Island School of Design, Providence

1963/66

John Simon Guggenheim Stipendiatin

1967

30 Arbeiten von Diane Arbus sind in der “New Documents” Ausstellung (kuratiert von John Szarkowski) im Museum of Modern Art, New York sehen

1971

nimmt sich selbst das Leben, in ihrem Haus der Westbeth Artists Community, New York

1972

“Diane Arbus Portfolio: 10 Photos” wird posthum auf der Venedig Biennale gezeigt

1972

Retrospektive im Museum of Modern Art, New York und Veröffentlichung einer Monographie bei Aperture, New York

1984

Veröffentlichung des Buches “Magazine Work” bei Aperture, New York

1995

Veröffentlichung des Buches "Untitled" bei Aperture, New York

2003

Start der Ausstellungstournee "Revelations" im San Francisco Museum of Modern Art und Veröffentlichung des begleitenden Buches bei Random House, New York

2011

Ausstellungstournee "Diane Arbus", die im Jeu de Paume, Paris begann

2016

Start der Ausstellungstournee "in the beginning" im Metropolitan Museum, New York und Publikation des begleitenden Buches, herausgegeben vom Metropolitan Museum, New York

2018

Ausstellung "Diane Arbus: a box of ten photographs" im Smithsonian American Art Museum, Washington, D.C. und Veröffentlichung einer begleitenden Buchpublikation bei Smithsonian American Art Museum und Aperture, New York

2022

Veröffentlichung des Buches "Diane Arbus Documents" bei David Zwirner Books, New York & Fraenkel Gallery, San Francisco