Gerd Danigel
Alles bleibt anders
Zur Frage, was letztlich und endgültig das Ende der deutsch-deutschen Teilung bewirkte, gibt es viele Theorien: Von der Realpolitik, dem Freiheitsdrang der Bevölkerung über das Grenzregime bis hin zu David Hasselhoff lässt die Rückschau ein ganzes Bündel miteinander wechselwirkender Gründe aufscheinen. Im Strom der akademischen Wissensproduktion rund um den Mauerfall kommt indes eine 1999 erschienene Studie zur Geschichte der Konsumkultur in der DDR zu der ernüchternden Erkenntnis, dass weniger die Revolutionsideale als vielmehr die verlockende Konsumwelt der Bundesrepublik die Menschen im Osten Berlins 1989 auf die Straße getrieben hätten.
Mit einem gänzlich unprätentiösen Ansatz nimmt auch das Werk des 1959 im Osten Berlins geborenen Fotografen Gerd Danigel den Alltag der Menschen in den Blick, die vor und nach der Wende ihr Leben in der Hauptstadt bestreiten. Die Berlin-Fotografien der Jahre 1978 bis 1998 aus dem 2011 erschienenen Bildband „Schöner unsere Paläste!“ zeigen schwarz-weiße Impressionen von Arbeiter*innen, Schulkindern, Paaren und vom Lebensumfeld der Menschen auf der Straße, an öffentlichen Plätzen und in Hinterhöfen. Der Blick des Fotografen ist dabei der eines teilnehmenden Beobachters, der seine Motive – ob menschlich oder städtebaulich – einfühlsam, aber nicht unkritisch ins Bild setzt. Kinder posieren in diesen Aufnahmen stolz und unbefangen für seine Kamera; zeigt er den Mensch im öffentlichen Raum, werden jedoch auch Verunsicherung und Resignation spürbar.
Auf unzähligen Streifzügen durch seine Stadt sind es die Momente der Empathie und der wundersamen Zufallskonstellationen, die der Fotograf in einzigartige Bilder von zeitloser Qualität verwandelt. Wie die Schaufenster der kleinen Fachgeschäfte kurz vor der Wende, die sich im Kontrast zwischen Aufschrift und ausgestelltem Sortiment der Lächerlichkeit preisgeben. Danigels Sicht auf die Dinge ist bei aller tragischen Ironie aber auch eine gewisse augenzwinkernde Vergnügtheit eigen, die nicht Ideologiekritik, sondern zugeneigte Neugier als treibende kreative Kraft verrät.
Bis heute konzentriert sich Gerd Danigel in seinem Schaffen auf seine Heimat Berlin. Lebenswandel und Arbeitsthemen gehen bei ihm Hand in Hand: Buchstäblich auf Augenhöhe mit den Menschen, deren Alltag er fotografisch durchstreift, kann man ihn noch heute auf Flohmärkten in Berlin antreffen und dort sein fotografisches Archiv nach Perlen der Zeitgeschichte durchstöbern.
Biografische Daten
1959
geboren in Ost-Berlin, beginnt mit 14 Jahren zu fotografieren
1975-1978
Berufsausbildung zum Gasmonteur
1985-1990
arbeitete als Fotograf am Staatlichen Institut für Kulturbauten, Ost-Berlin
1991
Beginn der Karriere als freiberuflicher Fotograf
1998
publiziert sein erstes Fotobuch Leben in Prenzlauer Berg
2001
publiziert Schöner unsere Paläste! Berlin-Fotografien 1978-1998
lebt in Berlin