Inge Rambow
Verbotene Paradiese
„Wüstungen“ hat Inge Rambow ihre Landschaftsportraits genannt. Die Fotografien zeigen spitze Hügelketten, zerklüftete Canyons, sanfte Dünenformationen und immer wieder Wasserflächen, die sich je nach Form und Farbe der Geologie anpassen oder einen starken Kontrast herstellen. Der erste Blick erweckt den Eindruck überwältigender Schönheit. Ein zweiter Blick macht uns unsicher. Erst bei genauem Hinsehen bemerken wir, dass unser anfängliches Gefallen nicht unberührten Naturen galt, sondern Industriebrachen.
Inge Rambows Fotografien ähneln Vexierbildern: Sie geben den Betrachter*innen Raum für unterschiedliche Perspektiven und ambivalente Empfindungen. Die Freude am Sehen droht umzuschlagen in ein Grauen vor dem, was wir erkennen. Hier ein verrostetes Eisenrohr, dort ein Autowrack oder die seltsam-giftige Farbe des Wassers: Industrielle Relikte sind die Indikatoren der Zerstörung. Buchstäblich bringen sie uns auf den (verseuchten) Boden der Tatsachen zurück. Und dann ist es der Verstand, der uns sagt: Was zerstört ist, kann nicht schön sein.
„Wüstung“ ist ein Begriff aus der Bergarbeiter*innensprache, er bedeutet „verlassene Lagerstätte“. Kurz nach Öffnung der innerdeutschen Grenze hat Inge Rambow brachliegende Braunkohlegruben in Sachsen und Brandenburg durchwandert. In DDR-Zeiten war das Fotografieren dort verboten. Zu Beginn der 90er Jahre kümmerte sich kaum jemand mehr um die alten Verbote. Außerdem habe ihre große Deardorff-Plattenkamera wie eine Legitimation gewirkt. Wer eine so auffällige Kamera besaß, musste logischerweise auch eine Genehmigung zum Fotografieren haben.
1993 wurden die Fotografien im Deutschen Historischen Museum in Berlin ausgestellt. Viele ostdeutsche Besucher*innen haben die Arbeiten damals als „ideologische Fotos“, nämlich als ostentative Dokumente von Umweltzerstörung in der DDR missverstanden. „Nicht die Fotos“, entgegnet Inge Rambow, „sondern die Landschaften sind ideologisch. Sie entstanden ja unter dem ökonomischen Zwang des Tagebaus.“ Doch jenseits des politischen Diskurses begreift Inge Rambow ihre „Wüstungen“ vor allem als heroische Landschaften: „sichtbare Zeugnisse einer immensen Arbeitsleistung, die auch eine große Würde in sich tragen“.
Biografische Daten
1940
geboren in Marienburg
Studium Werkkunstschule Kassel
1979-91
Fotografin der Städtischen Bühnen Frankfurt
Ab 1991
freiberufliche Tätigkeit als Fotografin
2021
verstorben in Heidelberg