Julian Röder
Bilder des Widerstands
Die Geschichte bürgerlicher Proteste und politisch motivierter Demonstrationen ist lang. Ebenso lang ist die Geschichte ihrer Darstellung in Gemälden, Zeichnungen und seit vielen Jahrzehnten auch in der Fotografie. Die Bevölkerung leistet aktiven physischen Widerstand gegen Entscheidungen und Zustände, mit denen sie nicht einverstanden ist und von denen sie glaubt, sie über die gängige politische Teilhabe nicht beeinflussen zu können – ein „Sich-Anlegen" mit den Mächtigen und ihren Repräsentanten.
Demonstrieren ist eine Form politischen Agierens, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festgeschrieben und in der Regel in demokratischen Staaten durch das Versammlungsrecht gesetzlich verankert ist. In der ehemaligen DDR galt dieses Recht nicht. Demonstriert werden durfte ausschließlich auf den systemkonformen Kundgebungen der Partei. Umso außergewöhnlicher und eindrücklicher muss es für den achtjährigen Julian Röder gewesen sein, als im Herbst 1989 direkt vor seiner Haustür in Ost-Berlin Tausende Mitbürger*innen für Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf die Straße gingen, während gleichzeitig im DDR-Fernsehen von einem aufrührerischen „Chaotenmob" berichtet wurde. Dieses Ereignis bedeutete für ihn eine erste Begegnung mit politischem Protest und gleichzeitig mit dessen medialer Darstellung.
Zwölf Jahre später nahm er als Sympathisant des sogenannten „Schwarzen Blocks" der globalisierungskritischen Bewegung an den Protestkundgebungen im Rahmen des G8-Gipfels in Genua teil. Sie zählten mit rund 300.000 Teilnehmer*innen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen, religiösen und politischen Gruppierungen zu den umfangreichsten in der Geschichte der sogenannten „Summits". Röder, der mittlerweile seine Ausbildung als Fotograf abgeschlossen hatte, begann, das Geschehen am Rande der Sperrzonen mit seiner Kamera festzuhalten. Seine Bilder aus Genua bildeten den Auftakt zu einer umfassenden Serie, die ihn in den kommenden Jahren zu zahlreichen weiteren Gipfeltreffen führen sollte. Sie thematisieren in erster Linie den Protest selbst und weniger die Anliegen der Demonstrant*innen. Als mitfühlender, doch zunehmend distanzierter Insider gelang es ihm, Ordnung und Ruhe in das oftmals chaotische Geschehen zu bringen und das Aufeinandertreffen von Protestler*innen und Sicherheitskräften in seinen Bildern fast wie eine Choreographie erscheinen zu lassen. Hierzu zählen auch wohlkomponierte Szenen am Rande der Ereignisse, die trügerisch friedlich, bisweilen sogar ziemlich skurril wirken und wenig Ähnlichkeit mit der breiten medialen Darstellung der Proteste haben. Diese Ästhetik hat Röder bewusst gewählt, damit seine Fotografien die Betrachter*innen fesseln und die Aufmerksamkeit erlangen, die notwendig ist, um ihre Inhalte zu transportieren.
Mit den Aufnahmen seiner Serie „Summits" hat Julian Röder einen Bilderkanon für die Protestbewegungen zu Beginn das 21. Jahrhunderts geschaffen. Für ihn bedeuteten diese Aufnahmen den Beginn einer intensiven fotografischen Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von Macht und Ökonomie, die er in seinen nachfolgenden Serien fortgeführt hat.
Biografische Daten
1981
geboren in Erfurt, aufgewachsen in Berlin
1999 – 2002
Ausbildung zum Fotografen bei der Ostkreuz – Agentur der Fotografen
2003 – 2009
Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
lebt in Berlin