Julika Rudelius

Julika Rudelius, reconstruction #01, 2000, 114 x 120 cm, c-print
Julika Rudelius, reconstruction #05, 2002, 95 x 100 cm, c-print

Klischee im Kopf

„Können Sie nicht mal was Multikulturelles fotografieren, Frau Rudelius? Um zu zeigen, dass wir hier alle unheimlich gut miteinander klarkommen?“ Julika Rudelius lebt in den Niederlanden, die multikulturelle Gesellschaft ist dort keine Utopie, sondern Alltag. Reibungslos verläuft das Zusammenleben der ethnischen Gruppen dennoch nicht. An aufgesetzten „Wie-sind-wir-doch-alle-so-glücklich-Kampagnen“ hat sich Julika Rudelius nicht beteiligt. Das Thema „Rassismus“ stellte sich ihr, als sie im Rahmen einer Fotoarbeit über Gruppenverhalten eher beiläufig bemerkte, wie viele Menschen unterschiedlicher Nationalität sie auf ihren Bildern versammelt hatte.

Julika Rudelius dokumentiert das Spannungsfeld von Nähe und Fremdheit der verschiedenen Kulturen auf subtile Weise. Um „Dokumente“, also authentische Abbildungen der gesellschaftlichen Realität, handelt es sich bei ihren Fotografien keineswegs: Die Bilder sind gestellt. Absichtsvoll hat die Fotografin ihren Inszenierungen kleine Fehler eingebaut. Man entdeckt sie, sobald man präzise beobachtet: Die Djellaba der beiden Marokkanerinnen ist etwas zu kurz, ihre Kopftücher stammen nicht aus dem nördlichen, sondern aus dem südlichen Afrika; vor allem würden sich muslimische Frauen niemals öffentlich so frontal einer Kamera zuwenden. Wie weit kann man die Collage treiben? Zwei schwarze Gestalten lehnen an einer Containerhütte, sie tragen Jeans und Hafenarbeiter-Outfit, stehen eng zusammen, verbergen etwas: eine typische Dealerszene. Wirklich? Viele Schlüsselreize überlagern ein verräterisches Detail: Nur die weiße Hand signalisiert, dass hier etwas nicht stimmt.

Julika Rudelius’ Bilder spielen mit einem Wahrnehmungsmechanismus: Noch ehe wir alle Details erfasst haben, weisen wir dem Wahrgenommenen schon eine Bedeutung zu – vorausgesetzt, es stimmt mit unseren im Gehirn gespeicherten Schlüsselreizen überein. Dieser Akt visueller Ökonomie ist lebenswichtig: Wie sollten wir uns sonst in unserer immer komplexeren Umwelt zurechtfinden? Aber manchmal verbaut uns das Klischee im Kopf auch den Zugang zu ihr; dann zum Beispiel sehen wir den Menschen nur noch als Rasse, nicht mehr als Individuum.

Biografische Daten

1968

geboren in Köln

1993/94

Studium der visuellen Kommunikation an der Hochschule der Bildenden Künste, Hamburg

1995/95

Studium der Fotografie an der Gerrit Rietveld Akademie, Amsterdam

1999–2001

Studium an der Rijksakademie van beeldende kunsten, Amsterdam

1999

Stipendium der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart

2000

Stipendium der KLM (Royal Dutch Airlines), Amsterdam

2003

BijlmAir Residenzprogramm und Stipendium des Stedelijk Museum Bureau Amsterdam und der Artothek Zuidaoost

lebt und arbeitet in Amsterdam