Mirko Krizanovic
Geschichte, vom Rand aus betrachtet
Unser historisches Gedächtnis für die bedeutenden Ereignisse des 20. Jahrhunderts ist kaum von den dazugehörigen berühmten Bildern des Fotojournalismus zu trennen. Die Liste der Fotografien, die diese Ereignisse illustrieren und die jeder von uns abrufbar im Kopf hat, ist lang: Ob es sich um die Schrecken des spanischen Bürgerkriegs handelt, die sich in Robert Capas Foto des sterbenden republikanischen Soldaten verdichten, oder um das millionenfache Leid der Shoa, von dem Margaret Bourke-Whites Fotografien von der Befreiung des KZ Buchenwald zeugen. Von Eddie Adams, Nick Út und Philip Jones Griffiths zu Robert Lebeck und Barbara Klemm – stets sind es besonders prägnante Fotografien, die uns als emotionale Wegmarken den holprigen Verlauf der Geschichte nachvollziehen lassen.
Als Mirko Krizanovic Anfang der 1980er Jahre in seinem Taxi eine von einem Fahrgast liegen gelassene Pentax-Kleinbildkamera findet, ahnt er noch nicht, dass ihn sein späterer Beruf als Fotoreporter rund um die Welt führen wird. Jahre später wird er als Redaktionsfotograf der Frankfurter Allgemeine Zeitung im Kreise von Kolleg*innen wie Lutz Kleinhans, Wolfgang Haut und Barbara Klemm an wichtigen Reportagen arbeiten und hier das schnelle, punktgenaue journalistische Arbeiten lernen: Ein Bild pro Tag und Thema musste der Redaktion am Abend vorliegen. Eine solche Arbeitsweise schult nicht nur das Auge und das situative Gespür, sondern ist für die zielorientierte Arbeit eines Fotoreporters unerlässlich.
Krizanovics Themen sind weit gesteckt: Palästina, Bosnien, Rumänien, Tschetschenien, Slowenien, Libanon, Ruanda und die USA – nie hat er die Konfliktregionen dieser Welt gescheut, auch wenn seine veröffentlichten Bilder nicht den drastischen Ausdruck der Fotografien mancher Kollegen erreichen. Dabei sind Bilder entstanden, die die Ereignisse oft vom Rand des Geschehens aus illustrieren: Menschen, die in den Trümmern ihrer materiellen Existenz etwas familiäre Normalität herzustellen versuchen, Soldat*innen in Gefechtspausen, Flüchtlingstrecks und Auffanglager. Und immer wieder begegnen Krizanovic spielende Kinder und fröhliche Blicke selbst an den unwirtlichsten Orten.
Wie viele seiner Kolleg*innen benötigte auch Krizanovic eine gehörige Portion Instinkt, Lebenserfahrung, Reaktionsschnelligkeit und natürlich Glück, um aus einer bestimmten Situation ein gelungenes Foto zu gewinnen. Dadurch erhalten seine Bilder eine versöhnliche Dimension: Sie strahlen Wärme, Menschlichkeit und Lebensfreude ebenso aus wie die Hoffnung auf bessere Zeiten. Eine Qualität, die bereits die großen Pionier*innen der Fotoreportage angetrieben hatte: sich nicht mit der aktuellen Situation abzufinden, sondern Bilder zu liefern, die den Finger auf die Wunde legen: „Das ist der große Antrieb: die Geschichten an die Öffentlichkeit zu bringen und damit vielleicht helfen zu können.“
Biografische Daten
1959
geboren in Subotica, Serbien (Ex-Jugoslawien)
1970
emigriert nach Deutschland
1983–1987
arbeitet als Fotojournalist beim Darmstädter Tagblatt
1987–1994
arbeitet für die Redaktion der Frankfurter Allgemeine Zeitung
Seit 1994
arbeitet als freiberuflicher Fotograf für deutsche Zeitungen und Zeitschriften, wie z.B. Frankfurter Allgemeine Magazin, taz, Die Zeit und Cicero
1999
erhält den Kodak Fotobuch Preis
lebt in Darmstadt und Ste. Marie-en-Chanois, Frankreich