Paul Graham

Paul Graham, California, aus der Serie "A shimmer of possibility", 2005, Acht Bilder, je 41 x 55 cm, pigment prints
Paul Graham, New Orleans, aus der Serie "A shimmer of possibility", 2004-2006, Acht Bilder, verschiedene Größen, pigment prints

Poesie des Alltags

Als Paul Graham von 2004 bis 2006 die USA bereiste, war es vor allem die Neugier, die ihn antrieb: Er wollte das Land erkunden, in dem er bereits seit zwei Jahren lebte und das seine Heimat werden sollte. Graham, in New York ansässig, folgte dabei zunächst keinem festen Plan und wählte die Gegenden seiner Intuition folgend aus. Meist war er mit dem Auto und in den Außenbezirken von kleineren Städten unterwegs, wo er dem Treiben der Menschen an Straßenkreuzungen, auf Parkplätzen, in Fast-Food-Restaurants oder in Wohngebieten zusah. Inspiriert von den Szenen, die er dort beobachtete, begann er zu fotografieren. Dabei richtete sich seine Aufmerksamkeit vor allem auf die sich täglich wiederholenden Gesten und Handlungen des Alltags: das Warten auf einen Bus, das Rauchen einer Zigarette, das Rasenmähen oder das Nachhausekommen mit den Lebensmitteleinkäufen, der Verzehr einer Mahlzeit oder das Trinken aus einer Bierdose. Fasziniert von der Hingabe, mit der die Menschen ihren Aktivitäten nachgehen, machte Graham diese Begegnungen zum zentralen Thema seiner Serie „a shimmer of possibility", die er anschließend in zwölf schmalen, eingebundenen Bildbänden veröffentlichte.

Jedes Buch widmet sich entweder einer einzelnen Szene oder einer Paarung von zwei Ereignissen, die er als fest angeordnete Bildabfolge aus verschiedenen Blickwinkeln darstellt. Wie kurze, zersplitterte Filmsequenzen lassen sie die Betrachter*innen Grahams sich annäherndem und verweilendem Blick folgen. Er selbst beschreibt sie in Anlehnung an die von Kürze geprägte japanische Gedichtform als „filmische Haikus". Seine Fotografien verbergen nicht, dass die Personen, die er mit der Kamera festhält, überwiegend zu denen zählen, die am Rande der Gesellschaft leben – nicht nur räumlich. Er legt die Tragik ihres Schicksals offen, etwa wenn er zeigt, wie ein Mann im Rollstuhl, der beide Beine verloren hat, an einer Straßenkreuzung sitzend, seine dritte Bierdose leert. Oder ein kleines Mädchen, das sich selbst überlassen am Bordstein spielt. Aber auch das Leben der Mittelschicht wird sichtbar, etwa wenn er zeigt, wie eine Frau in einer Straße, die von großen Häusern und teuren Autos gesäumt ist, ihre Post aus dem Briefkasten holt. Oder in einem anderen Bildband eine Familie, die an einem sonnigen Morgen in Kalifornien an einer Raststätte zusammen isst.

Grahams Blick hebt den Schleier vor dem Alltäglichen, sodass wir beginnen, die Schönheit der Momente wahrzunehmen, die einen Großteil unseres Lebens ausmachen. Er erzählt in seinem Werk vom Kampf um das wirtschaftliche Überleben, aber auch von Lebensfreude, Hoffnung und Zufriedenheit, selbst am Rande der Gesellschaft. Seine Arbeiten verweisen auf das stille, bescheidene Glück, das uns überall und jederzeit begegnen kann, wenn wir lernen, genau hinzusehen und die Poesie des Alltags wahrzunehmen.

Biografische Daten

1956

geboren in Stafford, UK

1978

Abschluss Studium an der Bristol Universität, UK

2011

Paris Photo-Aperture Foundation PhotoBook Award

lebt in New York City, USA