Pentti Sammallahti
Die Aura des Augenblicks
Ebenso wie das Nibelungenlied zu den bekanntesten Werken der deutschen Volksdichtung zählt, ist das Kalevala die bedeutendste historische Sagensammlung der Finnen. Uralte, mündlich überlieferte Geschichten um die Geschicke des weisen Sängers Väinämöinen wurden erst im 19. Jahrhundert schriftlich zusammengeführt. Die Spuren dieses Heldenepos reichen tief in die heutige Kultur des Landes hinein. Viele mythische Elemente in der zeitgenössischen Kunst zeugen davon.
Einen Sinn für fantasiereiche Erzählungen kennzeichnet auch das Werk des 1950 in Helsinki geborenen Fotografen Pentti Sammallahti. Seine Motive sucht er nicht nur in heimischen Gefilden – ganz im Gegenteil. Von unersättlicher Neugier auf die Welt getrieben, führen ihn zahlreiche Reisen bis in die entlegensten Regionen rund um den Globus. Sein Blick wird dabei oft wie magisch angezogen von Tieren und Naturszenarien. Sammallahtis Interesse scheint jedoch losgelöst von konkreten Umständen: Die von ihm festgehaltenen Momente strahlen eine zeitlose, lyrische Kraft aus. Elegant austarierte Arrangements von Figuren, Linien und Flächen entheben die Szenen jeglicher Trivialität und überführen ihre tierischen Protagonist*innen in eine geradezu metaphorische Dimension. Die Kröte, deren Kopf den Wasserspiegel im Licht der untergehenden Sonne durchbricht, erscheint plötzlich als charaktervolles Subjekt. Ein sich im Stadtraum räkelnder Hund imitiert den schiefgewachsenen Baum zu seiner Seite mit solch komischer Parallelität, dass man geneigt ist, in ihm ein Individuum zu erkennen, dessen Wesensart sich für einen kurzen Moment dem Blick der Betrachter*innen offenbart.
Dass Sammallahti in seinen Fotografien auf Farbe verzichtet und die Aufnahmen zumeist in sehr kleinem Format entwickelt, kommt einer Transformation des Gesehenen in eine eigenständige Form gleich – der Fotograf agiert als Bildautor, nicht als Dokumentar. Weit über den Prozess des Abbildens hinaus lädt er ein gesehenes Ereignis mit Bedeutung auf. Dazu dient ihm nicht zuletzt die Arbeit in der Dunkelkammer, in der er seine Aufnahmen in außergewöhnlich schöne Abzüge verwandelt. Die Ausdruckskraft seiner analogen Prints verbindet absolute Präzision mit ausnehmend diffizilen Grauabstufungen, deren Textur an Tuschezeichnungen erinnern. Diese Qualität deutet schließlich auch auf sein Grundthema hin: Lebewesen, Gestein oder Vegetation, urbaner Raum und ursprüngliches Biotop – alle Elemente scheinen greifbar und kostbar zugleich.
Auch wenn Sammallahtis Werke Fragen zum Verhältnis von Mensch und Tier oder zum Zustand des natürlichen Gleichgewichts unserer Welt aufwerfen gleiten sie niemals ins Pathetische ab. Viel zu geheimnisvoll erscheinen seine bildgewordenen Parabeln. In ihnen kommt ein augenzwinkernder Humor gepaart mit einer künstlerischen Huldigung der fragilen Schönheit dieser Welt zum Ausdruck, der in der zeitgenössischen Fotografie einmalig ist.
Biografische Daten
1950
geboren in Helsinki, Finnland
1971
ausgiebige Reisen durch Skandinavien, die Sowjetische Republik, Sibirien, Japan, Indien, Nepal, Marokko, die Türkei, Europa und Süd Afrika
1975
erhält den ersten von vier Staatlichen Preisen Skandinaviens für fotografische Kunst
1984–1991
arbeitet als Dozent am Fotografie Institut der University of Art and Design, Helsinki
2001
erhält Ehrendoktorwürde der Helsinki University of Art and Design
2013
erhält den deutschen Fotobuchpreis für „Here Far Away“
lebt in Helsinki, Finnland