Philip Montgomery
Amerika in der Krise
Die mit dem „amerikanischen Traum“ verbundene Idee von individueller Freiheit, Wohlstand und Chancengleichheit hat seit jeher für eine Mehrheit der in den USA lebenden Menschen wenig mit der gesellschaftlichen Realität zu tun. Viele US-Amerikaner*innen erleben ihre Heimat als ein Land, das von massiven gesellschaftlichen Problemen gezeichnet ist: einer ausgeprägten sozialen Ungleichheit, rassistischer Diskriminierung, der Polarisierung der politischen Lager, die insbesondere während der Präsidentschaft Donald Trumps deutlich wurde, aber auch von den bedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels.
Der 1988 geborene mexikanisch-amerikanische Fotojournalist Philip Montgomery konzentriert sich in seinen Arbeiten auf die Schauplätze, an denen diese sozialen und ökologischen Probleme in den Vereinigten Staaten sichtbar werden: Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, überlastete Kliniken in New York auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, Familien, die ihre Angehörigen durch den Missbrauch von leichtfertig verschriebenen opioiden Schmerzmitteln verloren haben, oder Gebiete, die durch Hurrikane und Überschwemmungen verwüstet wurden. An diesen Orten bleibt dem Fotografen in der Regel nur wenig Zeit, um das Geschehen so festzuhalten, dass es als Teil einer größeren Problematik wahrgenommen wird. Niemals jedoch wirken Montgomerys Aufnahmen wie Schnappschüsse, vielmehr erscheinen sie klar komponiert und manchmal fast arrangiert. Im Mittelpunkt seiner Bilder steht immer der Mensch, oftmals gefangen in einer dramatischen Lage. Montgomerys fotografische Bildsprache lebt dabei von einer unmittelbaren Nähe, von meist durch Blitzlicht erzeugten starken Kontrasten und einer Atmosphäre des Innehaltens im Strudel der Ereignisse. Seine Entscheidung, stets in Schwarz-Weiß zu fotografieren, verstärkt diese Wirkung.
Obwohl Montgomery häufig für Tageszeitungen und Magazine arbeitet, heben sich seine Fotografien von der Flut der schnell konsumierbaren und ebenso schnell wieder vergessenen Bilder ab, die vor allem in den digitalen Medien kursieren. So erinnern seine Fotografien von den Demonstrationen nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd 2020 in ihrer scheinbaren Zeitlosigkeit an Aufnahmen der Massenproteste im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, die im kollektiven Gedächtnis noch immer präsent sind. Montgomery scheut sich auch nicht, seine Kompositionen mit einer gewissen Dramatik aufzuladen, etwa wenn er den verletzten nackten Oberkörper eines festgenommenen Schwarzen Mannes in einem Polizeiauto ins Bild setzt: Jedes Sandkorn auf der Haut des Mannes, der offensichtlich von Polizeikräften zu Boden gedrückt wurde, ist erkennbar, während die Einsatzfahrzeuge in makellosem Weiß erstrahlen. In der Brutalität dieses Augenblicks kommen die über Generationen aufgestauten und noch immer nicht gelösten Probleme zum Ausdruck, die schließlich zu den „Black Lives Matter“-Protesten führten. Eindrücklich verdichten die Fotografien Philip Montgomerys die akuten Krisen der US-amerikanischen Gegenwart in Aufnahmen, die individuelle Schicksale als Teil der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit dokumentieren.
Biografische Daten
1988
geboren in Kalifornien, USA
2010
schließt Studium des Fotojournalismus und dokumentarischen Journalismus am International Center of Photography in New York, USA ab
2015
ausgezeichnet von der Pictures of the Year International
2020
ausgewählt für das Foam Talents Programm des Fotografiemuseum Amsterdam
2021
veröffentlicht „American Mirror“ in New York, USA
lebt in Brooklyn, New York, USA