Sandra Mann
Gesellschaftsnotizen
Das Smartphone mit integrierter Kamera ist für den Menschen des 21. Jahrhunderts zu einem völlig alltäglichen Gebrauchsgegenstand geworden – mit gravierenden Auswirkungen, denn die Möglichkeit, noch so triviale Begebenheiten spontan in Bildern festzuhalten und auf dieser Weise anderen davon zu berichten, scheint allzu verführerisch zu sein. Aus dem unaufhörlichen Strom an Informationen, die unsere Augen erreichen, lösen wir mit minimalem Aufwand an allen denkbaren Orten einzelne Bildmomente heraus – und sprechen ihnen dadurch eine Bedeutung zu. Die Perspektiven der Kunstwissenschaft auf diesen jüngsten epochalen Dammbruch sind ambivalent: Von einigen als inflationär, überfordernd und vulgär bewertet, sehen andere darin einen Ausdruck demokratischer, kreativer und selbstreflexiver Dynamiken.
Auch die Fotografien der Serie „Daylife“ der jungen deutschen Fotografin Sandra Mann, die zwischen 1999 und 2008 entstanden sind, geben auf den ersten Blick Aufnahmen des Alltags wieder. Die Kamera ist ihr ständiger Begleiter. Dadurch entsteht ein großer Fundus an visuellen Eindrücken, während sie auf Straßen, in Cafés, in Kunstgalerien oder Einkaufszeilen, in ihrer Heimat Frankfurt oder im Ausland unterwegs ist. Jedoch ist ihr Blick ein suchender, der mittels kurioser Zufallskompositionen eine humorvolle, aber nicht unkritische Haltung zu ihren Motiven einnimmt. Wie eine alternde Hauswand, an der der Putz just in der Form des afrikanischen Kontinents abgebröckelt ist, und die – mit augenzwinkernder Referenz an zeitgenössische Street-Art – von einem Passanten so treffend beschriftet wurde.
Urbane Motive prägen die Atmosphäre in „Daylife“; Dinge des täglichen Gebrauchs, textile Mode, Werbeträger, Schaufenster oder ausgelassene Momente mit Freunden verweisen auf einen reflektierten, schöpferischen Geist. Zumeist konzentriert Mann sich auf wenige Formen und Farben; durch die räumliche Nähe zum Kameraauge wirken die Aufnahmen persönlich und gleichzeitig leicht lesbar. Die große Faszination dieser Bilder liegt bei alledem in ihrem Vermögen, das Gewöhnliche so zu adaptieren, dass bei den Betrachter*innen zentrale Fragen unserer Zeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen, Konsum, städtischem Raum oder Geschlechterkonstruktionen aufgerufen werden. Als eine Gabe an die Aufmerksamkeit hat Paul Celan einmal die Dichtung bezeichnet. Die Kraft, anhand alltäglicher Details unverhofft Einsichten über unsere Gesellschaft zu offenbaren, liegt auch in der Fotografie. Die Kunstwerke Sandra Manns zeugen davon.
Biografische Daten
1970
geboren in Gross-Gerau
1992-2003
studiert Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung Offenbach (HfG)
seit 1997
arbeitet als freiberufliche Fotografin
seit 2009
Gastlehraufträge u.a. an der Universität Duisburg/Essen; dem Santa Monica College, Los Angeles und der European School of Design, Frankfurt am Main
2021
wird mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet
lebt in Frankfurt am Main