Thomas Steinert

Thomas Steinert, Winter at the Blümnerstraße, 1983, 40 x 40 cm, silver gelatine-print
Thomas Steinert, Courtyard of the Prinz-Eugen-Straße, 1988, 40 x 40 cm, silver gelatine-print
Thomas Steinert, Temporary waiter at the restaurant „Zur Erholung“, Fritz-Austel-Straße (Bornaische Straße), 1987, 40 x 40 cm, silver gelatine-print
Thomas Steinert, The „Silbersee“ at the Lößnig development area, Hans-Marchwitza-Straße, 1977, 40 x 40 cm, silver gelatine-print
Thomas Steinert, Blick von der Mansardenwohnung des Fotografen in der Pfeffingerstr. zur Paul-Gerhardt-Kirche, Leipzig, 1986, 40 x 40 cm, Silbergelatineabzug
Thomas Steinert, Eisläuferin vor der Silhouette des Neubaugebietes Grünau, 1988, 40 x 40 cm, Silbergelatineabzug
Thomas Steinert, Leopoldstraße, 1988, 40 x 40 cm, Silbergelatineabzug
Thomas Steinert, Reinigungsbad (1.Klasse) im Stadtbad, Gerberstraße, 1988, 40 x 40 cm, Silbergelatineabzug

Mikrokosmos Connewitz

Der Stadtteil Connewitz im Süden von Leipzig war in den 1980er Jahren Dreh- und Angelpunkt der Leipziger Bohème. Student*innen und Künstler*innen besiedelten leer geräumte Wohnhäuser und verfallende Altbauten, die Plattenbauten weichen sollten. Doch der Plan der Behörden, das alte Connewitz abzureißen, kam ins Stocken; die Freigeister, die den Sozialismus reformieren wollten, blieben. Bis die deutsche Geschichte sie einholte: Der Fall der Mauer und das Ende der DDR besiegelten das Ende der Abrissplanungen und der sozialistischen Weltverbesserungsfantasien.

In Connewitz lebte auch Thomas Steinert. Mehr als 25 Jahre lang dokumentierte der gelernte Fotograf sein vom Verfall bedrohtes Umfeld – und damit, ganz beiläufig, eine im Wandel begriffene Gesellschaft. Er wollte den Status quo festhalten: „Vielleicht, so hoffte ich, würde man es dereinst im weiterentwickelten Sozialismus zu schätzen wissen, wenn man anhand der Bilder auf glücklich überwundene Krisen zurückblicken konnte.“ Er habe bis zuletzt an eine Reform der DDR geglaubt. Seine Bilder nehmen das wichtigste Ereignis der jüngsten deutschen Geschichte vorweg: die Wiedervereinigung, von der noch niemand etwas ahnte. Kaum einer hat die Atmosphäre der DDR in den letzten beiden Jahrzehnten vor ihrem Untergang so feinfühlig festgehalten wie er. Dieses Sujet brach ihm 1990 weg.

„Connewitzer Welttheater“ heißt der Bildband mit Aufnahmen von Thomas Steinert aus den Jahren 1969 bis 1994, in denen sich Alltagskultur und Sozialismus mischen – auch über den Leipziger Stadtteil hinaus. Die Bilder sind nicht politisch. Sie sind teilweise gestellt und damit auch nicht dokumentarisch. Aus heutiger Perspektive sind es historische Momentaufnahmen, die in kleinen Gesten eine große Veränderung anzukündigen scheinen. Diese Geschichtlichkeit des Augenblicks spürt der*die Betrachter*in: Die Aufnahmen von Thomas Steinert waren Vorboten der Revolution.

Dem Diktat der Obrigkeit in der DDR hat sich Thomas Steinert nie gebeugt. Von offizieller Stelle ignoriert und ohne Privatmarkt konnte er von seiner Arbeit als Fotograf nicht leben. Die Fotografie blieb für ihn der Zufluchtsort aus einer Welt, die sein Talent verschmähte – und es heute neu entdeckt. Thomas Steinert überrascht die späte Anerkennung, an seiner Entscheidung ändert sie nichts. In seiner kleinen Leipziger Dachwohnung in einem Ohrensessel sitzend bringt der scheue Einzelgänger seine Einstellung zum Medium auf den Punkt: „Es hat sich erledigt mit der Fotografie.“

Biografische Daten

1949

geboren in Burgstädt

1965-1968

arbeitet als Schmelzarbeiter

1972-1977

studiert Fotografiekunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, Germany

1978-2022

arbeitet als freischaffender Fotograf

2022

stirbt in Leipzig