Tom Wood
Der Foto-Mann
Als der in Irland geborene Fotograf Tom Wood 1978 nach Liverpool zog, befand sich die im Nordwesten Englands gelegene Stadt wirtschaftlich und sozial in einer schwierigen Lage: Obwohl sie seit ihrer Gründung um das Jahr 1200 herum immer eine wichtige Hafen- und später auch Industriestadt gewesen war, hatte die Wirtschaftskrise sie hart getroffen. Die Einwohnerzahlen sanken immer weiter und viele derer, die blieben, wurden arbeitslos. Die Folgen waren vor allem im südlichen Teil der Stadt sichtbar, der von Arbeitersiedlungen und Sozialwohnungen geprägt war.
In dieser angespannten Atmosphäre begann Tom Wood damit, die Bewohner*innen in der ihm zunächst sehr fremden Stadt und deren Umland zu porträtieren. Fast drei Jahrzehnte lang. Dabei wurde er von einem befremdlichen zu einem zunehmend vertrauten Anblick auf den Straßen. Ein bisschen seltsam erschien den Menschen der Mann, der immerzu seine Kamera um den Hals trug, allerdings schon, und so erhielt er den Spitznamen „Photie Man“ („Foto-Mann“). Nahezu täglich streifte Wood durch die Fußgängerzonen, besuchte Wochenmärkte, Cafés, Kneipen und Diskotheken, immer auf der Suche nach neuen Motiven. Seine Fotografien in Farbe und in Schwarz-Weiß zeigen Familien, Gruppen von Freund*innen, Paare und Einzelpersonen in ihrem alltäglichen Leben. Die Menschen scheinen dem Fotografen zu vertrauen, denn fast alle halten ihr Gesicht entspannt der Kamera zugewandt – unabhängig davon, ob sie gerade ihr Kind auf dem Arm halten, sich lässig gegen ein Auto lehnen oder vor einem ramponierten Schriftzug posieren. Woods Arbeiten zeichnet das wiederholte, gekonnte Einfangen eines jeden Charakters, aber auch der zwischenmenschlichen Intimität aus. Er scheint den Menschen ganz nahe zu kommen, ohne dass sie sich bedrängt fühlen oder sich verstellen. Im Gegenteil: Wood fängt auf liebevolle und doch ehrliche Weise verschiedenste emotionale Ausdrücke ein. Mit einem Auge für Details, Mimik und Gestik stieß er so auf Motive, die den normalen Beobachter*innen verborgen blieben – sei es die Tochter, die bereits in jungen Jahren ihrer Mutter wie ein Zwilling gleicht, oder das Paar, das sich in einem scheinbar ersten Annäherungsversuch noch etwas scheu an die Straßenlaterne lehnt.
Doch Tom Woods Fotografien geben auch einen Einblick in die Arbeiter*innenklasse der 1970er und 1980er Jahre in Liverpool. Seine Bilder zeigen vor allem den Teil der Gesellschaft, für den das alltägliche Leben eine Herausforderung darstellte. Schaut man genauer hin, so sieht man nicht nur die eindringlichen Blicke, sondern hinter den meist viel zu jungen Müttern auch die geschlossenen Geschäfte und zum Teil verfallenen Straßen. Woods Werk ist eine Chronik der Stadt und ihrer Menschen – realistisch, einfühlsam und voller Wärme – und zugleich ein Porträt des zutiefst Menschlichen. Seine Alltagsbeobachtungen decken das Besondere mitten im Gewöhnlichen auf.
Biografische Daten
1951
geboren in County Mayo, Irland
1973 bis 1976
studiert Fine Arts Painting an der Leicester Polytechnic (heute De Montfort Universität)
1989
veröffentlicht „Looking for Love: Chelsea Reach” in Manchester, UK
1998
erhält den Terence Donovan Preis von der Royal Photographic Society, UK
2002
ausgezeichnet mit dem Prix Dialogue de l'Humanité bei den Rencontres d´Arles, Frankreich
lebt in North Wales, Großbritannien