Wilhelm Schürmann
Die Physiognomie des Eigenheims
„Zeige mir, wie du baust, und ich sage dir, wer du bist.“ – Nach diesem Sprichwort des deutschen Dichters und Schriftstellers Christian Morgenstern sagen Häuser viel über ihre Besitzer aus. Ob Wohnsiedlung, Reihenhaus, Eigentumswohnung – hinter dem „Wo“ steckt stets ein Stückchen „Wer“. Und überall geht es um den Traum vom Eigenheim, eine typisch deutsche Glücksvorstellung.
Wilhelm Schürmanns Fotografien präsentieren Ausprägungen dieses Traums. Seine Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Wohnhäuser im Grenzgebiet von Deutschland, Belgien und den Niederlanden – es sind, im wahrsten Sinne des Wortes, Charakter-Bauten: Denn Wilhelm Schürmanns Fotografie eines Hauses erzählt stets eine Geschichte über den Menschen darin. Und das, ohne den Menschen zu zeigen: Ein schiefer Fenstersims, ein unorthodoxer Vorgarten, ein eigenartiger Häusergiebel zeugen von seiner Präsenz. „Selbstgestrickte Architektur“ nennt Wilhelm Schürmann diese Skurrilitäten von Menschenhand. Es sind oft nur Details, die aus Einheitsbauten individuelle Gebäude machen, ihnen eine ganz eigene Physiognomie verleihen, sodass – wie Schürmann es ausdrückt – „die Dinge ein Gesicht bekommen“.
„Fotografien haben ihre völlig eigene Realität“, sagt Wilhelm Schürmann. Das erstaunt, scheinen doch gerade seine nüchternen Aufnahmen von Wohnhäusern und Straßenzügen reine Dokumentationen in Schwarz-Weiß zu sein. Mehrere Kriterien unterstreichen die vermeintliche Sachlichkeit: der typologische Ansatz, die Serialität, die minutiös komponierte Flächigkeit, der Himmel im Einheitsgrau. Für Brüche im Bild sorgt ein anderes Element: Humor. Das sei in der Kunst „das Wichtigste überhaupt“. Deshalb ist in Wilhelm Schürmanns Bildern Humor keine Mangelware: „Ich liebe das Menschliche in den Bildern, die skurrilen Momente im Leben.“ Diese Absonderlichkeiten in seinen Häuserbildern zu entdecken, überlässt Wilhelm Schürmann dem*der Betrachter*in.
Heute ist Wilhelm Schürmann vor allem als Sammler und Kurator von Gegenwartskunst bekannt. Anfang der neunziger Jahre hörte er endgültig auf zu fotografieren. „Das, was ich zu sagen hatte, war in der Welt.“ Und trotzdem scheint es nicht ausgeschlossen, dass er eines Tages wieder zur Kamera greift: „Ich habe mir früher die Welt angeschaut und Bilder gemacht. Und ich sehe in meiner Umwelt nach wie vor die Motive, die Bilder.“
Biografische Daten
1946
geboren in Dortmund
1966-1971
Studium der Chemie in Aachen
1972
beginnt Fotografie zu sammeln und selber zu fotografieren
1981-2011
Professur der Fotografie in Aachen
lebt in Herzogenrath